Szenische Konzerte

„Blendwerk“

Ist der Versuch zu heilen eine Straftat, wenn er scheitert?
oder
Der Chevalier John Taylor, der Bach und Händel den Star ausstach und der Welt zwei Stars nahm

Christian Brückner in der Rolle des John Taylor
Ragna Schirmer als Muse und Richterin
Text: Frank Wallis
Regie: Ines Heinrich-Frank

Obwohl die mögliche Begegnung zwischen Johann Sebastian Bach (1685-1750) und Georg Friedrich Händel (1685-1759) eine unbewiesene Behauptung bleiben muss, gibt es neben dem gemeinsamen Freund Georg Philipp Telemann nachweislich ein weiteres Bindeglied zwischen den Biografien der Barockmeister aus Mitteldeutschland. Der reisende Okulist John Taylor (1703-1772) hat sowohl dem Leipziger Thomaskantor als auch dem Londoner Opern- und Oratorienunternehmer den Star gestochen – und in beiden Fällen zur endgültigen Erblindung, bei Bach vermutlich sogar zum Tode beigetragen. Dass Taylor selbst ein Star war, der nach eigener Auskunft den Papst ebenso wie den britischen König Georg II. behandelte, sieht man am extravaganten Auftreten dieses Medicus à la Mode: Er reiste mit einer Kutsche durch Europa, die in einer Vorwegnahme heutiger Marketing-Strategien flächendeckend mit Augen-Darstellungen und seinem Lebensmotto „Qui dat videre, dat vivere“ (Wer Sehen schenkt, schenkt Leben.) bemalt war. Als „Optica expertissimus“ pflegte er seine Ankunft in den „Tournee“-Stationen theatralisch zu annoncieren, Operationen führte er nicht selten öffentlich durch – und als wichtige Strategie zum Schutz vor möglicher Strafe bei Misserfolgen galt ihm der Rückzug, bevor den Patienten die Augenbinden entfernt wurden. Dass das Zeitalter des Barock generell ein starkes ästhetisches und philosophisches Interesse am Phänomen der Blindheit hatte, sieht man nicht allein an der Fülle von Blinden-Motiven vornehmlich in der niederländischen Malerei des 17. und 18. Jahrhunderts. Auch in den Arbeiten von René Descartes („Les passions de l’Ame“, 1649) bis hin zu Denis Diderot („Lettre sur les aveugles“, 1749) spielt die Frage nach der Erkenntnismöglichkeit blinder Menschen eine entscheidende Rolle – und der Begriff der Aufklärung wird im Englischen als „Enlightenment“ sogar direkt mit dem optischen Phänomen der Erleuchtung in Zusammenhang gebracht. Berühmt wurde die Diskussion über ein Problem, das der Philosoph William Molyneux 1688 in einem Brief an seinen Kollegen John Locke formulierte: Angenommen, ein von Geburt an blinder Mensch erhielte die Fähigkeit zu sehen – wäre er dann in der Lage, Würfel und Kugeln durch das bloße Betrachten voneinander zu unterscheiden, wenn davon auszugehen ist, dass er diese Formen bereits durch seinen Tastsinn unterschieden hatte? Auch bei Bach finden sich namentlich in den Kantaten immer wieder Verweise auf das Schließen der irdischen Augen und auf die Schau des Himmlischen –während Händel beispielsweise im Oratorium „Samson“ mit der Arie „Total eclipse“ eine erschütternde Perspektive auf die Gefühlswelt eines Blinden eröffnet. Aus all diesen Quellen speist sich ein Theaterabend, in dem Klaviermusik von Bach und Händel den Anlass für die Lebensbeichte des John Taylor gibt. Der gealterte Arzt wird dabei mit einer Pianistin konfrontiert, deren Rolle zunächst rätselhaft erscheint. Ist sie die Geliebte oder die Anklägerin dieses virtuosen Selbstdarstellers, der bei seinen Zeitgenossen auch für seine Verführungskünste berühmt war – oder bereits der Engel des Todes, der dem Greis erscheint? Für letztgenannte Variante würde sprechen, dass der Arzt erstaunlich offen aus seinem Leben berichtet und dabei ausführlich über die beiden deutschen Komponisten spricht, die in der langen Liste seiner unglücklichen Patienten einen besonderen Rang einnehmen. Das ungleiche Paar diskutiert aber auch ethische Fragen, die bis heute nichts von ihrer Aktualität eingebüßt haben: Ist es besser, einen Kranken wegen einer vagen Hoffnung auf Heilung mit einer riskanten Methode zu behandeln? Oder soll man nichts wagen, wenn man sich seines Erfolges nicht sicher ist? Formal orientiert sich der Abend am Melodram, das sich um 1760 aus einer Umdeutung der barocken Vanitas-Motive entwickelte und in der Verbindung aus Musik und Sprache auf eine gesteigerte emotionale und moralische Wirkung zielte.

„Ich möchte lachen vor Todesschmerz“

Clara und Robert Schumann in Wort und Ton

Ragna Schirmer in der Rolle der Clara
Dominique Horwitz als Robert

Kaum ein Künstlerpaar hat das Musikleben im 19ten Jahrhundert so geprägt wie das Ehepaar Schumann. Die fruchtbare und medienwirksame Verbindung zwischen einem der genialsten Komponisten und einer geschäftstüchtigen Virtuosin ließ in Verbindung mit familiären Spannungen damals wie heute Raum für Mythen und Spekulationen. Glücklicherweise ist uns das Leben der beiden dank zahlreicher Liebesbriefe und Tagebuchnotizen umfassend überliefert. In einem szenischen Programm werden einige der schönsten Briefe der Schumanns ihren kompositorischen Werken gegenübergestellt. Sprache und Musik verweben sich zu einem poetischen Geflecht, der Zuhörer sieht und hört die beiden parlieren. Der biographische Bogen des Abends reicht von der ersten Verliebtheit über die gerichtlich erstrittene Eheschließung bis zu Roberts Tod in der Nervenheilanstalt Endenich.
(An diese Stelle bitte das schöne Interview als Audio)